jeudi 9 novembre 2017



Jeden Morgen um acht Uhr, stand ich im Flur, streckte ich mich und riss meine Kindergartentasche vom Haken und machte mich auf den Weg zum Kindergarten. Die Sehnsucht nach Ferien trug ich jeden Morgen mit mir spazieren.
Dann endlich:
Die Frühlingsferien haben begonnen und eines Tages lag ein großer Sandhaufen im Hof unter dem Apfelbaum.
Feiner grauer, feuchter Sand auf den die Sonne einen goldenen Schimmer zauberte um ihn zu erwärmen.
Der alte Apfelbaum schenkte uns im Herbst immer viele blutrote Äpfel. Deshalb entschieden sich meine Eltern ihn nicht zu fällen.

Meine Eltern bauten ein Haus.
Hinter dem Apfelbaum zeichneten sie die ersten Grundrisse, die ersten Wunden in die Erde.
Sie bauten jeden Tag ein Teil des Hauses und hatten weniger Zeit, um mit mir zu spielen.
Jeden Tag baute ich Burgen aus Sand. Türme und Tunnels und Brücken baute ich von Morgens bis Abends, rupfte Gras und legte es um die Burgen. Ich pflückte Löwenzahn und Kamille und wollte sie in meinem kindlichen Leichtsinn ohne Wurzeln in den Sand pflanzen. Meine kleinen Fingerchen drückten Steinchen in den Sand und Steinchen für Steinchen wuchsen die Wege und Pfade und vernetzten meine Welt aus Sand.
Ich sah jeden Tag wie das Haus wuchs, wie es Fenster bekam und ein Dach. Und ich spielte im Zimmerlabyrinth Verstecken.

Die Blüten des Apfelbaumes vielen auf meine Bauten und Mutter sang im Haus ein Liebeslied. Ich legte meine kleinen Hände und das Ohr auf die Ziegelmauer. Sie war warm und ich dachte sie hat ein Herz.
Nur der alte Apfelbaum stand geduldig neben dem neuen Haus und regnete ahnungslos seine großen weissen Blüten über mich.


Jahre später.

Einsam und geduldig stand er neben dem Haus. Stolz reckt er die mit Blüten übersäte alten Äste mit jungen Zweigen in den Himmel. Es sah aus als würde er den Himmel am Bauch kitzeln, damit die Sonne lachend die sich über ihn zusammenbrauenden Gewitterwolken verscheucht.

Die Sonne stand tief und beleuchtete die dunklen, zornigen, regenschweren Wolken. Ihre Strahlen streichelten die knorrige Rinde des alten Apfelbaumes. Das geborstene alte Holz des Stammes sendete die Wärme in seine knorrigen Gliedern und lässt die Blüten wie die Flamme eines weißen Teelichtes leuchten.

Der Apfelbaum hat Jahrzehnte mit den Jahreszeiten getanzt und gelacht, geweint und getrauert. Er ist mit ihnen herangewachsen. Nun stand er da, immer noch tief im Erdreich verwurzelt. In fast zwei gleichmäßige Teile gespalten, durch die Last der Früchte, durch die Ernte eines ertragreichen Herbstes. Die eine Hälfte lehnte unbelaubt und blütenlos am Haus, als würde er Halt hinter den Mauern suchen. Die andere Hälfte reckt sich mit ihrer dichten Blütenpracht himmelwärts. Wie brennende Schwimmkerzen schienen die Blüten in der gewittrigen Luft zu schweben.

Man weiß, dass alte Bäume immer weniger Obst tragen können, da die Äste brüchig wie alte Knochen werden. Irgendwann lohnt es sich nicht mehr, die Früchte abzuernten. Es wachsen aus den Blüten keine Vorzeigefrüchte mehr, sondern individuelle Gebilde, die zwar wunderbar schmecken, aber keiner würde die Hand nach ihnen ausstrecken.

Man weiß auch, dass Bäume wenn sie gestresst sind oder allmählich eingehen mehr Blüten ansetzen. Eine Laune oder ein Gesetz der Natur, alte Bäume zu erhalten, wie Botschafter aus vergangenen Zeiten, oder ein von der Zeit zurückgelassenes Geschenk.

Etwas Wildes, Unnahbares ging von diesem Baum aus. Es war als hätte man ihn in eine andere Zeit ausgewildert.

Vom Tod geweiht, erstrahlte er zum letzen Mal in seiner Blütenpracht. Am nächsten Morgen waren die Blütenkerzen erloschen. Sie fielen von den sterbenden Ästen auf den Boden. Ich stellte mich ein letztes Mal unter den Baum, damit die weißen Blüten über mich regnen - wie damals.

Mit einem heftigen Donner krachten die Wolken aufeinander und ein Blitz erhellte goldfarben den Himmel. Dicke Regentränen fielen aus den Wolken und mischten sich mit meinen Tränen.

Am nächsten Morgen lagen seine Äste leblos, auf Blütenblätter gebettet auf dem Boden.

Die ganze Zeit sah ich die Triebe um den alten Stamm herum nicht. Eine Art Endlichkeit in der Unendlichkeit.

0 Kommentare:

Enregistrer un commentaire