dimanche 22 octobre 2017

Ich mache eine Zeitreise: Ich bin acht Jahre alt und gehe in die zweite Klasse. Ich lerne richtig Französich. Ich kenne die Sprache ja schon. Es ist meine Muttersprache, aber nicht meine Vatersprache. Meine Vatersprache ist Deutsch. Und meine Eltern sprechen mit mir in ihrer Sprache, was dazu führt, dass ich die Sprachen zwar voneinander unterscheide, aber sie mische. Ich mische sie wie man Farben auf einer Palette mischt.

Meine Mutter trennte sich von meinem Vater, weil er eine andere liebte und sie nicht.

Ich bin kleiner als die Kinder in meinem Alter. Mir fehlt eine Herzklappe, daher muss mein Herz sich anstrengen Blut zu pumpen. Zum langsamen Wachsen reicht es. Ich bin die Kleinste in der Klasse und nicht die erste und auch nicht die Zweite beim Lernen. Vieles verstehe ich nicht. Und ich traue mich nicht zu sprechen. Ich spreche leise und langsam.

Die Mädchen wollen mich wie eine Puppe beschützen, die Jungen nannten mich die Kleine, oder kleiner Zwerg.

Ich sitze in der ersten Bank um alles zu sehen. Neben mir sitzt ein Junge der sieht nicht viel. Auch mit Brille nicht.

Immer wieder fragt er mich, was auf der Tafel geschrieben steht.

Ich rede nicht, weil ich das Gefühl habe Worte nicht richtig auszusprechen. Ich schreibe ihm. Ich kaufe von meinem zwei Notizheftchen. Ein liniertes und ein kariertes. Und er drückt seine Nase fast auf das Geschriebene.

Nur um ihm alles aufzuschreiben was er nicht sah. Ich drücke mit dem Bleistift auf. So sieht er es auch besser.

“Du konzentrierst dich auch auf dich bitte,” ermahnt mich die Lehrerin. Sie lächelt. Ich auch.
Er übt mit mir das Sprechen. Und er hat Geduld. Er lacht mich nie aus.

Er wohnt auf der selben Straße wie ich.

Jeden Morgen treffen wir uns auf unserem langen Weg zur Schule an der Straßenecke. Wer als erster kommt, wartet auf den anderen. Er nimmt immer meine Hand.

“Braut und Bräutigam,” spotten einige. Ihm ist es egal. Mir nicht. Ich konnte rennen wie ein Wiesel. Und ich konnte kratzen und beißen. Meine Verteitigungswaffen.  Zum Schlagen waren meine Hände zu klein. Dafür gab es von Mama ab und zu eins auf den Hintern, oder Schimpfe.

Und eines Tages kommt er nicht. Und ganze zwei Wochen wird er nicht zur Schule kommen. Danach muss er zur Kur. Lungenentzündung hat er, sagt seine Mutter.

Am Montag nach vier Wochen kommt er wieder.

Am Montag warte ich zehn Minuten, dann lege ich ein Gänseblümchen auf die alte, verwitterte Bank die um die gleich Ecke steht. Der Junge versteht das Zeichen sofort und am nächsten Morgen legt er einen bunten Stein an die selbe Stelle.

Jeden weiteren Morgen liegen Blümchen, Bombons, Steinchen auf der Bank.

Viele Menschen gehen an der Bank vorbei. Auch wenn jemand diese Zeichen auf der Bank bemerkt erkennt er nicht deren Bedeutung nicht.
Die täglichen kleinen Zeichen, undedeutend für andere, haben in unseren Augen einen besonderen Wert.

Freundschaft braucht für andere unsichtbare Zeichen.

Wir sind Freunde. Bis heute. Ich bin wieder weggezogen und er ist auch weggezogen.

Er sieht nach wie vor nicht gut. Aber er sieht mich. Ab und zu. Einmal im Jahr. Er trinkt einen Rotwein, ich einen Espresso. Ein paar Stunden sind wir Kinder.
Dann geht jeder zu seiner Liebe.

©Émilia

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